Berlin, den 14. August 2020
Liebe Genossinnen und Genossen,
mein heutiger Bericht über die politische Arbeit beinhaltet eine Mischung aus Themen des Bundestages und der Wahlkreisarbeit. Ich hoffe, Ihr hattet und habt geruhsame Ferien oder einen Urlaub verbracht, auch wenn dabei 2020 vieles anders ist, als in den Jahren davor.
Das herausragende Ereignis der laufenden Woche war die Nominierung von Olaf Scholz als SPD-Kanzlerkandidat. Aus meiner Sicht eine sehr gute Wahl! Mit ihm hat die SPD die Chance, Wählerinnen und Wähler in der Mitte der Gesellschaft zurückzugewinnen. Dort werden Wahlen entschieden! Olaf Scholz hat in der Corona-Krise gezeigt, wie wichtig es für die soziale Sicherheit und die wirtschaftliche Kraft Deutschlands ist, dass die SPD das Land führt. Er ist ein ausgewiesener Experte für Fragen der Finanzen und der Wirtschaft. Gerade diese Themen werden in den kommenden Monaten in den Mittelpunkt rücken, wenn wir die Folgen der Corona-Krise bewältigen müssen.
Ich selbst habe mit Olaf Scholz, zuletzt in der Corona-Krise, vielfach sehr gut zusammengearbeitet. Er war immer offen für Vorschläge, wenn es darum ging, die Situation zu verbessern, sei es für kleine oder mittelständische Unternehmen, Jugendherbergen, LKW-Fahrer oder Schausteller. Es ist auch ein sehr gutes Zeichen, dass Scholz dem SPD-Bundesvorstand von Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans vorgeschlagen wurde. Wir wollen das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler gewinnen – und zurück gewinnen. Das schaffen wir nur, wenn wir persönliche Interessen und Vorlieben zurückstecken und gemeinsam vereint an dem Ziel arbeiten: Deutschland braucht nach 2021 eine Politik mit sozialdemokratischer Handschrift. Dazu haben wir einen guten ersten Schritt gemacht.
Klar ist für mich auch, dass eine anerkannte Persönlichkeit und ein respektabler Fachmann wie Olaf alleine nicht ausreichen, um die nächste Bundestagswahl erfolgreich zu gestalten. Machen wir uns nichts vor: Das wird eine herausfordernde Wahl für uns. Wir müssen der Koalitionslust der CDU/CSU mit den unbedingt regierungswilligen Grünen eine sachliche Alternative gegenüberstellen. Das geht nicht allein über Personen, dafür müssen wir ein glaubwürdiges Programm vorlegen, eines, das auch zu unserem Kanzlerkandidaten passt! Hier müssen wir aus Fehlern vergangener Wahlen lernen.
Wir sollten die bei der Kandidatenkür gezeigte Disziplin fortführen und öffentlich keine unnötigen Diskussionen führen – beispielsweise über Koalitionsfragen. Unser Ziel muss sein, bei den Bundestagswahlen 2021 so stark zu werden, dass ohne oder gegen uns nicht regiert werden kann und dass wir unter einem Kanzler Olaf Scholz eine tragfähige Regierungsmehrheit finden. Dabei schließe ich außer einer Zusammenarbeit mit der AfD gar nichts aus. Warum sollten wir auch?
In den letzten Monaten habe ich betont, dass ich die Zusammenarbeit mit der Union in Berlin für durchaus erfolgreich halte, nicht nur im Krisenmanagement, sondern auch im sozialdemokratischen Sinn. Wir haben seit 2018 eine Vielzahl von SPD-Zielen in der Koalition in Berlin erreicht; in der Sozial- und Rentenpolitik, im Umweltschutz oder bei der gesellschaftlichen Gleichstellung. Keine andere Bundesregierung hätte in diesen Jahren so viel für die arbeitenden Menschen, die Rentner/innen und die Mehrzahl der Bevölkerung erreicht. Das sollten wir im Wahlkampf nicht verstecken. Diese Politik unter sozialdemokratischer Führung und mit einer klaren Ausrichtung auf Gerechtigkeit, Innovation und Teilhabe weiter zu entwickeln, schreckt mich grundsätzlich nicht. Von der Union können wir uns am deutlichsten dort abheben, wo es um gute Bezahlung, faire Arbeitsbedingungen und eine solide betriebliche Mitbestimmung geht. Die Union blockiert hier vieles und am aktuellen Beispiel der Fleischindustrie zeigt sich sehr gut, wie wichtig es ist, dass ein sozialdemokratischer Arbeits- und Sozialminister hier aufräumt und Kettenverträge und Sub-Sub-Unternehmerkonstrukionen verbietet
Aber es gibt auch andere Alternativen; ich verweise auf die erfolgreiche Zusammenarbeit mit FDP und Grünen in der Mainzer Landesregierung. Ein Modell, das ich mir auch in Berlin vorstellen könnte, wenngleich die Bundes-FDP doch ein deutlich anderes Profil hat, als die liberale Landespartei. Eine Zusammenarbeit mit Grünen und Linken sehe ich mit größeren Vorbehalten, aber auch da kommt es auf die Inhalte an. Die Linkspartei ist in ihrem gegenwärtigen Zustand in Bund und Land ein ziemlich zerstrittener Haufen, in Berlin mit höchst seltsamen Vorstellungen in der Außen- und Sicherheitspolitik. Da muss sich intern erst noch vieles klären. Aber grundsätzlich teile ich die Linie von Olaf Scholz: Wenn die Linkspartei sich zu Verlässlichkeit und Seriosität wandelt – warum nicht eine Kooperation prüfen? Ihr seht, da steht uns eine Reihe von Möglichkeiten offen und wir sollten sehen, mit wem wir die größten inhaltlichen Schnittmengen haben. In jedem Fall müssen wir strategisch handlungsfähig sein und das heißt vor allem: stark werden, jedenfalls stärker als die Grünen. Nach den aktuellen Umfragen in der Folge der Scholz-Nominierung sieht das ja schon gut aus.
Ansonsten hält uns alle der Anstieg der Corona-Zahlen in Atem. Die gestiegene Zahl der Infektionen ist genauso bedenklich wie die Tatsache, dass es sich dabei mehrheitlich um jüngere Menschen handelt. Die Entwicklung zeigt uns: Wir sind noch lange nicht über den Berg! Bitte tretet deshalb auch in Eurem persönlichen, beruflichen und politischen Umfeld dafür ein, dass Maskenpflichten, Abstandsregeln und Hygienevorschriften eingehalten werden. Jeder kann etwas tun. Und unsere besondere politische Unterstützung muss denjenigen gelten, die gerade beruflich in besonderer Weise durch ihre Arbeit belastet werden: Lehrer/innen, Erzieher/innen und allen Beschäftigten in den Gesundheitsämtern und Testeinrichtungen. Die katastrophalen Vorgänge in Bayern zeigen, wie die engagierte Arbeit der Beschäftigten durch schlechte organisatorische Vorgaben der Politik zunichte gemacht werden kann!
Auch die Unterstützung der Wirtschaft in der Corona-Pandemie läuft weiter: im Rahmen des Konjunkturprogrammes vom Juni hatten wir ja auch ein Hilfsprogramm über rund 25 Milliarden Euro für die Monate Juni bis August bereit gestellt. Viele Anträge dazu, insgesamt rund 27.400 über ein Fördervolumen von rund 550 Millionen Euro, sind eingegangen, rund 4.500 davon sind schon bewilligt. Damit helfen wir Mittelständlern und ihren Beschäftigten, über die Krise zu kommen. Ich sehe den weiterhin hohen Bedarf und werde mich dafür aussprechen, diese Hilfsprogramme in den Herbst hinein zu verlängern.
Es gibt aber noch weitere Probleme außer Corona, beispielsweise die Flüchtlingssituation in den griechischen Lagern. Ich spreche mich dafür aus, dass wir mehr als die bisherigen rund 1.000 Flüchtlinge aufnehmen – 5.000 erscheinen mir verantwortbar -und dass wir uns insgesamt auf eine Migrationspolitik verständigen, die Menschen in Not oder mit dem Ziel, bei uns zu arbeiten, eine Perspektive gibt, aber gleichzeitig entschlossene und schnelle Schritte zur Integration verlangt. Warum ich das so sehe, habe ich in dem beigefügten Positionspapier zu „Flucht, Integration und Migration“ zusammengefasst, über das ich gerne mit Euch diskutieren würde.
Aus meinem persönlichen Arbeitsgebiet, der Digital- und Wirtschaftspolitik sende ich Euch einen Gastkommentar, den ich gemeinsam mit einem Vertreter des chinesischen Digitalkonzerns Huawei am 4. August 2020 im Handelsblatt veröffentlicht habe. Wir sprechen uns dafür aus, ausländische Unternehmen, also auch chinesische, beim Ausbau des 5G-Netzes zuzulassen – was vor allem bei US-Präsident Trump für heftige Kritik und Drohungen sorgt. Nach zwanzig Jahren der Zusammenarbeit mit chinesischen Stellen halte ich eine solche technologische Kooperation für verantwortbar, wenn der Einsatz der Bauteile konsequent kontrolliert wird, um Datenspionage zu verhindern. Denn wir können uns weitere Verzögerungen beim Netzausbau, der bei einem Verzicht auf chinesische Bauteile unabwendbar wäre, nicht erlauben. Bei nahezu jedem meiner Wahlkreistermine werde ich auf die Schwierigkeiten in der Mobilfunk- und Digitalversorgung auf dem Land angesprochen. Wir können das nicht hinnehmen und müssen alles daran setzen, diesen gravierenden Nachteil unserer Dörfer und kleinen Städte aufzuarbeiten – und das mit der weltweit besten verfügbaren Technik!
Wir sind da in den letzten Wochen erheblich vorangekommen, weil die EU-Kommission nach jahrelangen zähen Verhandlungen endlich zugestimmt hat, dass wir staatlicherseits den Ausbau der Breitbandnetze fördern dürfen! Ab sofort dürfen wir nicht mehr nur unterversorgte Gebiete mit Datengeschwindigkeiten von weniger als 30 Mbit in der Sekunde fördern, sondern bis 100 Mbit/Sekunde und ab 2022 sogar ohne Beschränkungen, so dass wir ab diesem Zeitraum flächendeckend den Gigabit-Ausbau unterversorgter Gebiete angehen können. Schon vor 2023 dürfen Schulen, Rathäuser, Krankenhäuser sowie Unternehmen und Verkehrsknotenpunkte ausgebaut werden. Damit hat die EU-Kommission endlich anerkannt, dass der Staat nicht nur für die Grundversorgung der Bevölkerung zuständig ist, sondern auch für den Ausbau von Hochgeschwindigkeitsnetzen. Damit können auch weitere Bundesgelder eingesetzt werden: Über die seit 2018 geförderten 1.500 Projekte mit einem Volumen von 6,5 Milliarden Euro können nun weitere Vorhaben angegangen werden.
Zu diesem Thema und vielen anderen lokalen Projekten habe ich in den letzten Wochen rund fünfzig Veranstaltungen und Gespräche im Wahlkreis Bad Kreuznach/Birkenfeld, im Betreuungswahlkreis Mosel/Rhein-Hunsrück und in Rheinhessen durchgeführt. Es war großartig, so viele von Euch zu treffen, oder mit Unternehmensleitungen und Betriebsräten, Rettungsdiensten, Betreuungseinrichtungen für behinderte Menschen, Bürgerinitiativen und Verwaltungen zu sprechen. Viele Sorgen und Anregungen kann ich in Berlin einbringen und umgekehrt ist für viele Gesprächspartner wichtig, zu erfahren, wie und warum die Politik bestimmte Maßnahmen empfiehlt. Ich werde diese Besuche in den nächsten Wochen fortsetzen und bin für Anregungen und Themen immer dankbar.
Herzliche Grüße und bleibt gesund!
Dr. Joe Weingarten MdB