Berlin, den 1. April 2022
Liebe Genossinnen und Genossen,
üblicherweise berichte ich an dieser Stelle über Themen, Debatten und Entscheidungen des Bundestages in Berlin. Die zu Ende gehende Woche war aber keine Sitzungswoche des Bundestages in Berlin. Gleichwohl möchte ich Euch über ein bundespolitisches Thema berichten, welches mich in diesen Tagen am meisten beschäftigt: Die Sicherheit unseres Landes und dort die militärische Zusammenarbeit mit Israel.
Ich habe vergangene Woche gemeinsam mit einigen Kolleginnen und Kollegen aus dem Bundestag eine verteidigungspolitische Delegationsreise nach Israel unternommen. Die Delegationsleitung hat die Verteidigungsausschussvorsitzende Marie Agnes Strack-Zimmermann übernommen.
Neben mir haben von der SPD Falko Droßmann, Andreas Schwarz und Katrin Budde teilgenommen. Die FDP war mit Alexander Müller, Lars Lindemann und Christine Aschenberg-Dugnus vertreten. Von der christdemokratischen Opposition sind Serap Güler und Thomas Röwekamp mitgereist. Die Delegationsreise wurde von ELNET, dem „European Leadership Network“ organisiert. ELNET ist ein Verein, welcher sich der Stärkung der deutsch-israelischen Beziehungen widmet.
Während unserer Reise hat es mehrere Terroranschläge gegeben, bei denen elf Menschen ermordet wurden. Bei allem Zukunfts- und Fortschrittsoptimismus in diesem Land erinnern diese Taten daran, dass Israel ein Land ist, welches sich seit Jahrzehnten im Kriegszustand befindet und von Feinden bedroht wird. Die islamistische Regierung des Irans pumpt jeden Tag Geld und Waffen in den Libanon, um den direkten Nachbarn Israels zu destabilisieren. Deshalb ist Israel unter konstanter Bedrohung durch 30.000 Hisbollah-Kämpfer im Süd-Libanon und die Hamas im Gazastreifen mit ständigen Anschlägen in unterschiedlichen Städten.
Wir konnten uns über die Bedrohungslage an der Nordgrenze Israels zum Libanon persönlich informieren. Die israelische Armee hat uns offen und nachvollziehbar dargelegt, dass und wie es der islamistischen Hisbollah-Miliz gelungen ist, praktisch den gesamten Süd-Libanon in den Griff zu nehmen: Tausende von Stützpunkten, Nachschub- und Munitionslagern oder Ausbildungsstätten -oftmals unmittelbar in Dörfern, neben Schulen, Wohnhäusern oder Geschäften gelegt, damit ein möglicher Angriff auf die Militärstützpunkte auch die Zivilisten mit trifft. Die Hisbollah ist keine Freiwilligenmiliz von Hobbykämpfern, sondern eine hoch gerüstete, mit modernen Waffen ausgestattete Armee, die mit Millionen Dollar aus dem Iran gefördert wird.
Ich selbst habe Tunnel gesehen, die mit schwerem Bohrgerät in 60 Meter Tiefe vom Libanon aus in israelisches Gelände getrieben wurden, um dort nachts ungestört einzufallen und Anschläge verüben zu können.
Man muss diese andauernde Bedrohung verstehen, um die Lage in Israel und die außerordentlich hohe Bedeutung, die das Militär dort hat, einordnen zu können. Dabei ist Israel ein faszinierendes Land, in dem moderne Hochtechnologie und Jahrtausende alte Kulturen aufeinandertreffen. Die bewegte Historie des Landes, von der Antike über die Kreuzzüge, bis zum israelischen Nationalstaat ist heute überall zu sehen. Gerade Jerusalem ist eine beeindruckende Stadt, in der man an einigen wenigen Straßenzügen unsere europäisch-mediterrane Geschichte der letzten 3000 Jahre ablesen kann – inklusive all der Kriege und Konflikte, die diese Geschichte geprägt haben.
Die verteidigungspolitische Delegationsreise war seit geraumer Zeit geplant. Durch den Angriffskrieg Russlands hat das Thema aber natürlich nochmals an Aktualität gewonnen. Israel ist im Bereich der Rüstungsindustrie eines der technologisch fortschrittlichsten Länder weltweit. Und die Zusammenarbeit mit Deutschland auf diesem Gebiet ist viel intensiver und enger, als das öffentlich bekannt ist. Große Teile der israelischen Marine wurden in Deutschland gebaut, ich konnte die modernste Korvette der israelischen Marine, die vor einiger Zeit in Kiel gebaut wurde, selbst besichtigen. Diese Marine-Kräfte sind vor allem wichtig für die Energieversorgung des Israels: Sie schützen die Gasfelder vor der israelischen Küste vor Terrorangriffen.
Rüstungslieferungen sind für Viele in Deutschland ein Problem. Aber das Beispiel Israels zeigt, dass sie sinnvoll und nützlich sein können. Nicht nur vor dem Hintergrund der grauenhaften Taten, die von Deutschen an Juden begangen wurden und die uns bis heute unverbrüchlich an der Seite des jüdischen Staates stehen lassen. Es geht auch um mehr: Wir teilen mit Israel, auch wenn es zuweilen Meinungsunterschiede gibt, die gleichen Werte. Wir verteidigen gemeinsam Demokratie und Menschenrechte. Auch mit Waffen.
Der Wert dieser Kooperation und Freundschaft – gerade während die Weltordnung sich verändert – ist uns bei unseren Treffen und Gesprächen mit dem stellvertretenden israelischen Verteidigungsminister und Vertretern des israelischen Parlaments, der Knesset, deutlich bewusst geworden. Von israelischer Seite wird unisono Deutschland als verlässlicher Partner und – nach den USA – engster Verbündeter des Landes gesehen – welch eine Entwicklung nach der Geschichte des Holocaust!
Von dieser engen Zusammenarbeit profitiert nicht nur Israel, sondern auch Deutschland. Die Verteidigungs-Delegation hat sich mögliche Kooperations-Projekte angesehen, die im Zusammenhang mit dem Programm zur Stärkung der Ausrüstung der Bundeswehr stehen können.
Ein zentraler Bestandteil der deutsch-israelischen militärischen Zusammenarbeit ist das Training deutscher Soldaten mit Heron-Drohnen auf einer israelischen Airbase. Deutschland schafft mehrere dieser unbemannten Flugdrohnen an, die vor allem der Aufklärung über feindliche Truppen-Ansammlungen dienen können. Wir haben die „Red Baron Squadron“ aus Soldaten der Bundeswehr und der israelischen Luftwaffe besucht. Die Aufklärungsleistung dieser unbemannten Flugzeuge ist militärisch unverzichtbar: sie sind exakter, länger fliegend und unauffälliger als vergleichbare bemannte Flugzeuge. Der Drohnen-Pilot „fliegt“ die Maschine, die in der deutschen Version ca. die Größe eines kleinen Airbus‘ besitzt, im klassischen Sinne nicht, sondern gibt ihr Bewegungen, Aufgaben und Ziele vor. So kann sich der Pilot ganz auf seine Mission konzentrieren. Der kommandierende Bundeswehroffizier hat uns Bundestagsabgeordneten gemeinsam mit seinen israelischen Kollegen viele wertvolle Informationen zur Mission gegeben.
Die jetzt in Israel genutzten deutschen Drohnen sind nicht bewaffnet. Darüber muss der Bundestag erst noch entscheiden. Ich persönlich bin, wie ich in der Vergangenheit bereits häufig gesagt habe, für eine solche Bewaffnung. Sie ist zum Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten im Einsatz unverzichtbar.
Eine der aktuell bei uns intensiv diskutierten militärischen Fragen ist die Ausstattung Deutschlands mit einem Raketenabwehrsystem nach dem Vorbild Israels. Zumeist genannt wird dabei das Arrow 3-System. Wir hatten in dieser Woche auch die Gelegenheit, uns über das System im Einsatz auf einer israelischen Luftwaffenbasis bei Tel Aviv zu informieren. Es kann Israel – und im Prinzip auch Deutschland – vor dem Angriff von hochfliegenden Raketen schützen. Ich halte es grundsätzlich für richtig, ein solches System anzuschaffen. Die Bedrohung durch Raketenangriffe nimmt zu und zurzeit sind wir, bis auf einige Patriot-Systeme zur Abwehr von Kurzstreckenraketen, dort schutzlos.
Aber es sollte nicht um eine schnelle Kaufentscheidung gehen. Wir müssen genau diskutieren, welchen Schutzschirm wir wollen (Israel hat mindestens fünf verschiedene zur Abwehr von Raketen unterschiedlicher Reichweite und Flughöhe). Und wir müssen da europäisch denken: ein solcher Schutzschirm sollte nach meiner Auffassung mindestens die baltischen Staaten und Polen mit abdecken, möglicherweise auch andere Nachbarländer. Das muss man genau prüfen und in bereits bestehende Kommandostrukturen der NATO zur Raketenabwehr integrieren, um diese zu erweitern.
Ich bin von dieser Reise nachdenklich zurückgekehrt, weil sie mir deutlich gemacht hat, wie viele militärisch-politische Konflikte unsere Zeit prägen. Und es besteht keine Aussicht, dass sich das kurzfristig ändern könnte: Es gibt zunehmend Staaten und Politiker, die eine internationale Weltordnung, die auf die Einhaltung von Regeln und die Lösung von Konflikten durch zivile Verhandlungen setzt, missachten.
Wir müssen weiter auf internationale Kontakte, auf Verhandlungen und Konfliktbeilegungen setzen. Aber wir dürfen dabei nicht wehrlos sein. Deswegen bin ich nach diesem Israel-Besuch auch noch sicherer, dass es richtig ist, sich für eine ausreichende und effektive Bewaffnung unserer Bundeswehr einzusetzen.
Herzliche Grüße
Euer Joe
Dr. Joe Weingarten, MdB