Berlin, den 27. Mai 2024
Liebe Genossinnen und Genossen,
an dieser Stelle möchte ich Euch einen etwas anderen Wahlkreisbericht als sonst übersenden. In der vergangenen Woche war ich gemeinsam mit Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius in Lettland und Litauen. Für mich als Mitglied des Verteidigungsausschusses war die Reise von großer Bedeutung, denn wir werden in Litauen eine Heeresbrigade dauerhaft stationieren. Das bedeutet konkret, dass 5000 deutsche Soldatinnen und Soldaten sowie Zivilangestellte in Litauen leben werden, um die NATO-Ostflanke zu verteidigen. Aber wir schützen dort nicht nur unsere Verbündeten, auch Deutschlands Sicherheit wird im Baltikum verteidigt. Ab 2025 mit der neu aufgestellten Panzerbrigade 45. Mit dieser Stationierung betreten wir Neuland, weil die Soldatinnen und Soldaten dieser Brigade nicht nur für wenige Monate dort leben werden, sondern dauerhaft dort stationiert sind, also auch mit den Familien vor Ort, mit Kindergärten, Schulen, Freizeit- und Arbeitsmöglichkeiten für die Partner.
Deutschland kommt bei der Verteidigung der NATO-Ostflanke eine besondere Rolle zu, denn über viele Jahrzehnte haben wir davon profitiert, dass unsere Verbündeten Deutschland mit abgesichert haben, nicht nur die USA, sondern auch Briten, Franzosen, Belgier oder Niederländer. Sie alle hatten in Westdeutschland Truppen stationiert, um uns zu verteidigen. Auch hier bei uns in der Region kennen wir das mit der amerikanischen Garnison in Baumholder, oder dem US-Militärstützpunkt in Ramstein. Jetzt müssen wir gegenüber den baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland auch solidarisch sein. Diese Staaten werden unmittelbar militärisch von Russland bedroht und brauchen unsere Hilfe und Unterstützung, sich dieser Bedrohung entgegenzustellen.
Bei der Reise war zu spüren, dass unser Engagement als Teil einer 700jährigen deutsch-litauischen gemeinsamen Geschichte wahrgenommen wird, die wir jetzt fortschreiben.
Neben der Stationierung der Litauen-Brigade war ein weiterer Schwerpunkt unserer Reise die in Litauen abgehaltene Bundeswehr-Übung „Grand Quadriga“. Hier zeigt die 10. Panzerdivision der Bundeswehr, zu der auch eine niederländische Brigade gehört, dass sie schon heute gemeinsam mit der litauischen „Iron-Wulf“-Brigade in der Lage ist, das Land zu verteidigen, wenn es notwendig werden sollte. Auch das Artillerie-Lehrbataillon 345 aus Idar-Oberstein gehört zu dieser Division.
Ich habe den Zusammenhalt der Artillerietruppe gespürt: Fast alle Artilleristen, mit denen ich in Litauen gesprochen habe, waren schon an der Artillerieschule in Idar-Oberstein. Ich bin stolz, dass unsere Heimat einen so wichtigen Beitrag zur Verteidigung Deutschlands und unserer Verbündeten leistet. Bei der Übung hat unser Verteidigungsminister Boris Pistorius mit einer Panzerhaubitze 2000 den ersten scharfen Schuss abgefeuert! Das ist Zeitenwende live.
Mir ist klar, dass die aktuelle politische und militärische Situation für viele Menschen sehr bedrückend ist. Aber wir werden nicht umhinkommen, für Verteidigung in den nächsten Jahrzehnten viel Geld aufbringen zu müssen, wenn wir gegenüber Russland glaubhaft abschrecken wollen.
Mir wäre es auch lieber, die vielen Milliarden, die wir für unsere militärische Sicherheit künftig ausgeben müssen, in Bildung, Klimaschutz oder Infrastruktur zu investieren. Aber die russische Aggression lässt uns keine Wahl: Wir greifen niemanden an, wir wollen niemanden angreifen, aber wir müssen uns verteidigen können und dazu bedarf es noch erheblicher, auch finanzieller, Anstrengungen.
Die aktuellen Haushaltsverhandlungen zeigen das ja. Aber der Besuch unserer hoch motivierten und auch gut ausgerüsteten Truppen in Litauen und Lettland hat mich sicherer gemacht, dass wir das hinbekommen.
Nach meiner Rückkehr aus dem Baltikum bin ich im Auftrag der NATO-Parlamentarierversammlung in die Hauptstadt Bulgariens, nach Sofia gereist. Hier hat im „Nationalen Kulturpalast“ die jährliche Frühjahrstagung stattgefunden.
Der russische Überfall auf die Ukraine hat die Diskussionen auf dem NATO–Parlamentariergipfel in Bulgarien dominiert. Von der Videoansprache von Präsident Selenskyj im Plenum bis zu dem Arbeitsgespräch, das die deutsche und die ukrainische Delegation hatten.
Es gab viel Lob für uns von ukrainischer Seite: Vor allem die Lieferung der Panzerfäuste, der Geparden, Iris T- und Patriot-Systeme waren von entscheidender Bedeutung dafür, dass die Ukraine bis heute durchgehalten hat. Es gibt weitergehende Forderungen nach dem Einsatz westlicher Waffen auch über russischem Gebiet, weil die Vorwarnzeit für einfliegende russische Raketen ab dem Grenzgebiet bis zum Einschlag in ukrainische Städte einfach zu kurz ist, um sie abzufangen und auch für eine westliche Luftabwehr über der West-Ukraine – bei beidem bin ich gesprächsbereit. Aber auch die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern und eine sofortige Mitgliedschaft der Ukraine in die NATO ist zur Sprache gekommen, was jedoch ich zu diesem Zeitpunkt ablehne.
Ich habe klar gemacht, dass ich auf Dauer den Menschen in Deutschland nicht sagen kann, die einzig denkbare Lösung für ein Ende dieses Krieges wäre ein militärischer Sieg der Ukraine mit einem vollständigen Rückzug Russlands. Ich halte das nicht für möglich und deswegen muss auch nach anderen Wegen zum Frieden gesucht werden.
Neben den Fragen des russischen Krieges in der Ukraine, haben wir auch technisch-strategische Zukunftsfragen debattiert. Ich habe meinen Bericht über „Synthetische Biologie“, eine Weiterentwicklung der Gen-Technik, und ihre militärischen und zivilen Chancen und Risiken abgegeben. Ein schwieriges ethisches und technisches Thema. Hier kommen mir die vielen Jahre als Innovations-Abteilungsleiter im rheinland-pfälzischen Wirtschaftsministerium zugute: Welche Rahmenbedingungen Innovation braucht und wie man vernünftigerweise mit Risiken umgeht, weiß ich.
Herzliche Grüße
Euer Joe
Dr. Joe Weingarten, MdB